Ja, was denn? Was war früher besser?
Stimmt, es gab noch keine Verkehrsampeln und keine Fussgängerstreifen. Man konnte die Strasse überqueren, wo man wollte, ohne dass man zur Verkehrssünderin wurde. Man musste nur die Augen offen halten.
Stimmt, die Milch wurde ins Haugeliefert, frisch vom Bauernhof. Sie war weder homogenisiert noch ultrahocherhitzt. Dafür schmackhaft.
Stimmt, pestizidfreies Gemüse wurde von der Bauernfrau verkauft, die mit Ross und Wagen vorbeikam und Ihre Ware mit lauter Stimme anpries: Binätsch (Spinat)! Buwährli (Erbsen, von poids verts)!
Stimmt, die Sommer waren lang und heiss und die Winter ebenso lang und kalt, wie es sich für kontinentales Klima gehört. Wir gingen im selbstgestrickten Badekleid schwimmen und schlittelten auf ungekiesten Strassen im Quartier.
Überhaupt, wir spielten stundenlang im Freien, ungestört von Autos und Motorrädern und besorgten Eltern. Es gab eben kein Benzin, keine Autoreifen und keine Terroranschläge.
Und heute? Wir leben im digitalen Zeitalter, dessen Anbruch sich mit einer Revolution vergleichen lässt. Um die Welt zu verstehen, in der mein Enkel lebt, musste ich mit einem Computer umgehen lernen. Das war am Anfang zum Verzweifeln – aber wie sollte ich heute Bücher schreiben ohne Computer? Textabschnitte ausschneiden und an anderer Stelle wieder einkleben, alles von Hand?
Und wie sollte ich meine Korrespondenz erledigen ohne die segensreiche elektronische Post, mit der ich nachts um zwei Uhr E-Mails versenden kann und umgehend Antwort erhalte, ohne Papier und Briefmarken?
Unser Horizont hat sich durch diese Revolution gewaltig erweitert, wir sind erdballumspannend verbunden mit der ganzen Welt. (Die Nachteile dieser Verbundenheit zähle ich jetzt nicht auf. Stimmt, früher gab es sie nicht).
Wie wäre es, diese neue Weite und Offenheit zu begrüssen? Die Revolution und das, was sie uns bringt, zu bejahen, anstatt ihre Nachteile zu bejammern?
Immerhin hat der Welthunger abgenommen, und die Lebensbedingungen sind an manchen Orten besser geworden. Das heisst natürlich nicht, die gegenwärtige Flüchtlingstragödie oder die drohende, von irrwitzigen Politikern heraufbeschworene Kriegsgefahr zu übersehen.
Hat es aber nicht früher auch Kriege und menschliche Tragödien gegeben?
Stimmt, früher war einiges besser, aber nicht alles. So wie heute einiges gut ist, aber nicht alles.