Die typischen Altersängste sind: Angst vor Abhängigkeit, vor Gebrechlichkeit und körperlichen Einschränkungen, vor dem Schwinden der materiellen Mittel, Verlust von Bedeutung in der Welt und vor der Einsamkeit.
Die grundlegendste Angst im Alter aber ist wohl die vor Tod und Sterben. Wir haben nur die Gewissheit, dass wir sterben werden, aber wir wissen nicht, wie und wann. Wie sehr wir den Tod fürchten, hängt oft von unseren Vorstellungen eines „Danach“ ab. Allein schon der Gedanke an das Ausgelöscht-werden, an das Nicht-mehr-sein ist geeignet, uns in Angst zu versetzen. Wenn wir dazu die Vorstellung eines jenseitigen Gerichts haben, kann uns bange werden vor dem, was uns erwartet.
Transgenetiker beschäftigen sich deshalb mit der Eroberung der Unsterblichkeit für den Menschen. Einer von ihnen hat gesagt, er finde es jammerschade, dass all sein im Leben erworbenes Wissen mit seinem Tod verloren gehen könnte. Er hofft deshalb darauf, sein Gehirn durch Einfrieren zu erhalten und eines Tages auf einen neuen Körper verpflanzen zu können. Das ist eine gute Begründung für die Forschungsrichtung. Ich glaube aber, faszinierend daran ist auch die Idee, den Tod auf diese Weise zu überwinden und ihm zu entgehen.
Nach buddhistischer Auffassung treten wir mit der Geburt in ein Leben ein, das eines von vielen in einer langen Kette ist, und wir verlassen es durch den Tod wieder, der gleichzeitig das Tor zu einem weiteren Leben ist. Vielleicht nehmen wir ja unsere Lebenserfahrung ins nächste Leben mit und bewahren ein Wissen darum, was der Sinn des Lebens ist und wie wir die Aufgabe des jeweiligen Lebens angehen möchten.
Was immer wir für Vorstellungen haben, zunächst steht uns der Tod, der unser Leben besiegeln wird, unverrückbar vor Augen. Wie sollen wir damit umgehen? Er kostet uns das Kostbarste, was wir haben: unser Leben. Sind wir entsetzt darüber, werden wir von Todesangst überflutet, wehren wir uns trotzig dagegen mit einem „ich doch nicht“?
Wir brauchen Zeit, um uns dieser Gewissheit zu stellen, sie zu anerkennen. Und dazu gehört Mut. „Das Alter ist nichts für Feiglinge“, dieser Ausspruch bezieht sich auch auf das Leben mit dem Ausblick auf den Horizont des Lebensendes.
Nach meiner Erfahrung gehören zwei wichtige Dinge dazu. Das eine ist der Rückblick auf das eigene Leben. Nicht im Sinne einer sentimentalen Ausrichtung auf all das, was vergangen ist, sondern im Finden eines Gleichgewichts zwischen Licht und Schatten. Die schönen Dinge gehören in das Archiv der kostbaren Erinnerungen, die uns niemand wegnehmen kann. Die misslungenen sollten wir ansehen und uns eingestehen, dass sie nicht gelungen sind. Vielleicht sind wir in irgend einem Sinne schuldig geworden, andern oder uns selbst gegenüber. Um solche Erinnerungen nicht wie Ballst mitzuschleppen, können wir uns von ihnen verabschieden und sie in unserem Schattenarchiv versorgen. (siehe Text: Gibt es etwas, was ich bereue?)
Das andere ist der Umgang mit der Zeit. Wenn wir sie jeden Tag als „die noch verbleibende“ definieren, werden wir atemlos und versuchen, alles, was wir noch tun möchten, in sie hineinzustopfen. Nie werden wir genug Zeit haben, und die Angst steigt, aus einem unvollendeten Leben abberufen zu werden.
Mein Rezept dagegen ist: Jeden Tag zu begrüssen als das Geschenk, das er ist und mich zu fragen: Was will er mir bringen und was möchte ich mit ihm anfangen? Das Leben so Tag für Tag anzunehmen, hat die Wirkung, dass die Zeit sich dehnt. Gleichgültig, wie viele Tage mir noch beschieden sind, ein jeder ist kostbar, ob er Regen bringt oder Sonnenschein.
Karl Valentin: Ich freue mich, dass es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es doch.
Noch ein Wort zu der Angst vor dem Sterben. Von vielen Menschen habe ich gehört, dass sie mehr Angst vor dem Sterbeprozess hätten als vor dem Tod. Die meisten wünschen sich ein friedliches Sterben zuhause und ein sanftes Hinübergleiten im Schlaf. Den wenigsten wird dieser Wunsch gewährt. Was in Kliniken passiert, kann einen tatsächlich mit Horror erfüllen.
Möglichkeiten, um mit dieser Angst umzugehen, siehe Text „Umgang mit Gefühlen als Körperorganisationen“.